Historische Fleischtomate aus den USA
“Thorburn’s Lemon Blush” ist eine hellgelbe Fleischtomate, die in Amerika von Elbert S. Carman gegen Ende des 19. Jahrhunderts gezüchtet wurde. Erstmals am Markt angeboten wurde die Tomate Lemon Blush gemeinsam mit den ebenfalls von Carman entwickelten “Thorburn’s Terra Cotta” und “Thorburn’s Longkeeper” 1893 im Katalog des Saatgutunternehmens James M. Thorburn & Company.
Thorburn beschreibt die neue Sorte Lemon Blush als nahezu perfekte Tomate. Haut und Tomatenfleisch sind von heller, zitronengelber Farbe mit einer rosaroten bis leicht karminroten Tönung, die über den Blütenpol hin zur Fruchtmitte verläuft. Die flachrunden, ungerippten Früchte sind größer als jene der Sorte Acme. Die Samenkörnchen sind auffällig klein und von geringer Anzahl. Das Fruchtfleisch ist zartschmelzend. Die fleischigen Früchte sind weniger sauer als die roten Sorten. Ferner ist die Pflanze vom kräftigen Wuchs und reichtragend.
Die englische Katalogbeschreibung ist am Ende dieses Beitrages nachzulesen.
Die komerzielle Einführung der beiden Thorburn-Sorten Lemon Blush und Terra Cotta am europäischen Markt erfolgte ab 1894.
So ist in der “Wiener Illustrierten Garten-Zeitung” des Jahres 1894 auf Seite 88 zu lesen
Nicht minder in Qualität sollen aber auch die beiden folgenden amerikanischen Züchtungen sein, die sich besonders durch die abweichende Farbe ihrer Früchte auszeichnen. Es sind dies: Lemon Blush und Terra Cotta. Die erstere hat schöne, runde Früchte von citronengelber Farbe, mit einem blassrothen Anfluge, die letztere pfirsichrothe Früchte, die eine apfelförmige Gestalt besitzen. Was die Qualität dieser beiden Sorten anbelangt, so sind sie als ganz exquisit bezeichnet.
“Möllers Deutsche Gärtnereizeitung” berichtet ebenfalls 1894 auf Seite 350 über die “Gemüse- und Blumenausstellung” anlässlich des “Gartenbaus auf der Thüringer Gewerbe- und Industrieausstellung zu Erfurt” von neuen Paprika- und Tomatensorten:
Unter den Früchten des sogenannten spanischen Pfeffers fallen besonders folgende Sorten auf: Goldgelber Riesen, Prokopp’s Riesen, Monströser gelber und roter Riesen, Elephantenriissel, Golden Dawn und Liebesfrüchtiger Roter, welch’ letztere Sorte man eher für eine Tomate als für spanischen Pfeffer halten möchte. Unter den Tomaten zeichnen sich besonders aus: Rote Mikado, mit grosser, purpurroter glatter Frucht; Scharlachrote Mikado, neu; Terrakotta, eine ungemein reichtragende Sorte, deren Früchte terrakottafarben und mit einem leichten, einem Pfirsich ähnlichen Flaume überzogen sind; Trophy, scharlachrot; Ponderosa, hell scharlachrote, grosse runde Frucht; Lemon Blush, neu, zitronengelb mit bläulichrosa-färbenem Anflug, usw. Interessant sind auch die Früchte von Cucumis flexuosus, die man für eine zusammengerollte Schlange halten könnte.
Haage & Schmidt, eines der damals führenden Saatgutunternehmens aus Erfurt, hatte die Sorte spätestens 1896 in das Sortiment aufgenommen. Gelistet unter der Rubrik Liebesapfel wird die Lemon Blush als “citrongelb mit blassrosa Anflug” beschrieben. 20 Gramm des Tomatensaatgutes kosteten 80 Pfennige.
Den letzten Sortimentseintrag konnten wir in einem Katalog aus dem Jahre 1948, herausgegeben vom Unternehmen Ford Sound Seeds, finden.
Aktuell Saatgut der Fleischtomate Lemon Blush zu kaufen, ist schwierig. Fündig werden könnte man bei VEN, die, wie unten näher beschrieben, die Sorte bereits angebaut haben.
Unser Anbau in der Saison 2019
2018 entnahmen wir einem Tauschpaket ein paar Körnchen der Tomatensorte Lemon Blush. Es handelte sich um Originalsaat von Kokopelli – allerdings aus dem Jahre 2007.
Weder Kokopelli noch deren deutscher Ableger Grüner Tiger liefern derzeit auf ihren Internetseiten Informationen zu der Sorte Lemon Blush. Also lautete die Devise: Aussäen und hoffen, dass erstens die zwölf Jahre alten Samen keimen und zweitens die “citrongelben Tomaten mit blassrosa Anflug” wachsen.
Das Keimen funktionierte zu unserer großen Überraschung problemlos.
Lemon Blush entwickelte sich zu einer determiniert wachsenden, etwa 90 cm hohen, sehr kräftigen und normalblättrigen Pflanze, die kaum Geiztriebe entwickelte. Die runden bis flachrunden Früchte waren eher knallig gelb bis orange, aber der rötliche Blütenpol war deutlich erkennbar.
Im Sommer 2019 kontaktierte uns Gisa von der Fachgruppe Tomaten des Vereins zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt, kurz VEN, die ebenfalls die Sorte Lemon Blush im Anbau hatte.
Ihre Lemon Blush, das Saatgut war vom Samenarchiv Gerhard Bohl, war tatsächlich citrongelb mit blassrosa Anflug. Der Pflanzenwuchs schien identisch zu sein.
Nichtsdestotrotz vereinbarten wir einen Vergleichsanbau, welchen wir in dieser Saison 2021 realisieren möchten.
Tomate Lemon Blush Vergleichsanbau 2021
Für unseren Vergleichsanbau haben wir drei Pflanzen in 12-Liter-Kübeln vorgesehen.
Die Originalssaat von Kokopelli aus 2007 keimte auch 2021 nach 10 Tagen. Damit hatten wir nun wirklich nicht gerechntet. Aber es freut uns sehr.
Pflanze zwei stammt aus dem Saatgut, welches wir 2019 einer verhüteten Frucht der Lemon Blush entnommen hatten. Und Pflanze drei ist aus dem Saatgut von Gisa gewachsen. Beide hatten eine Keimdauer von 6 Tagen.
Gesät wurde am 22.03.2021, in die Endtöpfe kamen die Jungpflanzen am 28.05.2021. Der Standort war Südseite ohne Regenschutz.
Die Pflanzerde bestand aus einem Gemisch aus alter Topferde und Kompost, gedüngt wurde ab und an mit einer Unkrautjauche. Um die Wuchsfreudigkeit beurteilen zu können, verzichteten wir komplett auf das Ausgeizen der Pflanzen.
Und so entwickelten sich die Pflanzen
Das Doofe an Vergleichsanbauten ist, dass immer irgendetwas in der Saison komisch läuft, sodass die Ergebnisse gar nicht so repräsentativ sein können, wie man sich das im Winter am warmen Ofen ausgemalt hatte. Dieses Jahr war es das nasskalte Wetter mit der einhergehenden Braun- und Krautfäule, die auch vor den relativ ungeschützt stehenden Lemon Blushs nicht halt machte.
Nichtsdestotrotz die gewonnenen Erkenntnisse.
1. Tomate Lemon Blush Originalsaat Kokopelli
Die Pflanze entwickelte im doch eher kleinen Topf zwei Triebe.
Der Haupttrieb erreichte am 19.09.2021 eine Höhe von 140 cm und hatte fünf Blütenrispen mit je drei bis vier Früchten ausgebildet. Außerdem entwickelte der Haupttrieb zwei größere Geiztriebe mit je einer Blütenrispe.
Der deutlich kleinere Nebentrieb brachte lediglich zwei Blütenrispen hervor.
Die ausgereiften Früchte brachten um die 70 g auf die Waage und schmeckten fruchtig mild.
Ein roter Blütenpol war nicht zu erkennen.
2. Tomate Lemon Blush aus verhütetem Anbau 2019 (Ursprungsquelle Kokopelli)
Diese Pflanze entsprach ziemlich dem Wuchs der Pflanze aus dem Originalsaatgut von Kokopelli. Allerdings wurde der Haupttrieb nur 120 cm hoch.
Dafür brachten die Früchte bis 88 g an Gewicht. Der Geschmack war eher süß und weniger fruchtig. Der erhoffte rote Blütenpol fehlte auch diesen Früchten.
3. Tomate Lemon Blush VEN (Ursprungsquelle Samenarchiv Gerhard Bohl)
Die Pflanze war deutlich stärker von der Kraut- und Braunfäule betroffen als die beiden anderen.
Dennoch waren am Haupttrieb ebenfalls fünf Blütenrispen erkennbar.
Die Früchte wogen bis 75 g und entwickelten das süß-fruchtige Aroma wie die Pflanze Nr. 1. Aber auch hier fehlte der rote Blütenpol. Anscheinend wird dieser nur bei entsprechender Sonneneinstrahlung ausgebildet.
Fazit
Zu Beginn der Saison entwickelten sich alle drei Pflanzen sehr, sehr ähnlich. Wuchs und Blattform waren im Grunde identisch.
Der Kraut- und Braunfäule konnten sich die Kokopelli-Varianten etwas länger widersetzen als die VEN/Bohl-Pflanze. Das mag aber auch an dem vorherigen Anbaustandort des Saatguts liegen.Schlussendlich war der Pilzdruck bei allen drei Pflanzen extrem hoch und unter normalen Umständen hätten wir die Pflanzen frühzeitig entsorgt.
Auffallend war im nassen Jahr 2021 bei vielen unserer Tomatenpflanzen, dass diese sich gegen Ende der Saison erholten und gesunde Austriebe und Blüten bildeten. So auch bei den drei Pflanzen der Sorten Lemon Blush.
Über die gesamte Saison entwickelten sich alle drei Pflanzen in Wuchsform, Blütenansätze und Früchte weitestgehend gleich. Sortentypisch wären aber größere Früchte mit rotem Blütenpol sowie eine geringere Wuchshöhe gewesen.
Nachdem in 2019 die Mutterpflanze der Nr. 2 unseres Vergleichsanbaus passte und auch die diesjährigen Pflanzen allesamt mit einem sehr kompakten, gedrungenen Wuchs in die Saison starteten, können wir uns vorstellen, dass das tomatenfeindliche Wetter die Pflanzen zu einer Art Notreife veranlasst hat. In der allgemeinen Botanik kennt man starke Pflanzenaustriebe infolge widriger Umstände durchaus.
Die Tomatengruppe VEN hatte in ihren Anbaubeschreibungen 2020 ebenfalls von niedrig wachsenden Pflanzen und gelben Fleischtomaten mit rotem Blütenpol berichtet.
Somit würden wir beide Saatgutquellen als sortentypische Lemon Blush anerkennen. Nichtsdestotrotz möchten wir den Vergleichsanbau in einer kommenden Saison wiederholen, dann aber im Gartenbeet.
Abschließend noch Vergleichsbilder der reifen Früchte, die gleichzeitig auch als verhütete Samenträger fungierten. Das Saatgut aus den Früchten haben wir geerntet, eine Weitergabe erfolgt jedoch wegen des Pilzbefalls frühestens nach einem weiteren Kontrollanbau.
Auszug aus Thorburns Saatgutkatalog 1893
Wer es bis hierher geschafft hat, am Lesen zu bleiben: Gratulation und vielen Dank hierfür.
Nun noch die oben erwähnte englische Beschreibung der Tomatensorte Lemon Blush. Der Gesamtkatalog aus 1893 kann übrigens durchgeblättert werden, wenn auf die Überschrift geklickt wird.
Wir sind beim Studieren dieser historischen Firmenkataloge immer wieder erstaunt, wie international der Saatgutmarkt bereits im 19. Jahrhundert ausgerichtet war. Offensichtlich waren schon unsere Urgroßeltern stets auf der Jagd nach den neuesten Züchtungen vom anderen Ende der Welt. Naja, Jäger und Sammler eben.
Categories: Fleischtomaten gelbe Fleischtomaten gelbe Tomaten kleinwachsende Tomaten
Schreibe einen Kommentar